Bögendorf - 20 Jahre nach der Vertreibung |
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Unser Bögendorf - wer von dort gebürtig, oder auch aus Schweidnitz und Umgebung stammend - kennt es nicht aus früheren Zeiten als ein langgestrecktes, friedliches und stolzes Dorf am Fuß der Bögenberge. Nieder-Bögendorf, das stolze Bauerndorf mit seinen großen Gütern, der katholischen Pfarrei, mit der schönen Kirche - und Ober-Bögendorf sich in die Berge hineinwindend mit den großen beidseitigen Waldungen, dem Schloß, der Schober-Brauerei und vor allem den herrlichen Bergen ~ sind auch nach 20 Jahren Abwesenheit äußerlich gesehen kaum verändert, .. und doch für jeden wieder Dahinkommenden nicht mehr das ehemals so vertraut gewesene. |
Heimat ist eben mehr als nur die Landschaft, die Baulichkeiten und sonstige Stellen und Stätten der Erinnerung. Ohne die dazugehörigen Menschen kann selbst die so liebgewesene und vertraute Heimat irgendwie fremd wirken. Ist es nun unter diesen Umständen geraten sich durch einen möglichen Besuch von seinen Erinnerungen in die rauhe Wirklichkeit versetzen zu lassen? Diese Frage ergibt sich für jeden - zumindest nach einem Besuch. Blättern wir kurz in der nun schon bald Geschichte gewordenen Vergangenheit von Bögendorf der letzten 20 Jahre und begleiten Sie einen Ober-Bögendorfer in seinen gewiß lückenhaften Erinnerungen von damals ~ nämlich 1946 - bis zu den mehrmaligen Besuchen in den letzten Jahren. |
Anfang August 1946 schlug für uns - wie für die Mitbewohner unseres Abschnittes, des oberen Teiles von Nieder-Bögendorf und des unteren Teiles von Ober- Bögendorf, die Stunde des Verlassens unseres Bögendorfs. Über die Lager Kroischwitz und Görlitz gehend, landeten wir im Bezirk Dresden. Bereits Anfang der Fünfziger Jahre versuchten wir Bögendorf wieder zu sehen ~ aber damals mißlang es. 1959 war es dann das erstemal soweit - daß wir Bögendorf wiedersehen und zwischenzeitlich bis heute konnten wir diese Besuche einige Male wiederholen - letztmalig im 2. Halbjahr 1965. |
Nach Besorgung aller Formalitäten, einschließlich Geldumtausch, wurde in Görlitz über die Friedensbrücke die „Grenze“ überschritten. Dabei gab es noch einige Schwierigkeiten wegen unserer deutschen Landkarten von Schlesien. Wir sollten diese abliefern - sind aber mit Hilfe „geistiger Mittel" über die Runden gekommen. Die nächste Umgebung - bei klarem Wetter bis ins Riesengebirge die Schneekoppe schauend - kannten wir ja schon von unseren öfteren Besuchen auf der Landeskrone in Görlitz. |
Nun fuhren wir auf einer gut in Ordnung befindlichen Femstraße Richtung Bunzlau - und hinter Bunzlau auf der Autobahn bis in die Nähe von Liegnitz. - Liegnitz 7 km. - Von da mußte die Autobahn verlassen werden und auf einer Fernstraße kamen wir bis vor Jauer. Hier fanden wir das erste Hinweisschild nach „Swidnica“. Verkehrsbehinderungen gab es nicht. Wir fuhren durch das sehr vom Krieg zerstörte Striegau bis nach Schweidnitz - bereits immer unsere Berge vor den Augen. |
Obwohl Schweidnitz unser Standplatz war - fuhren wir verständlicherweise zunächst ohne jeden Aufenthalt am Kesselstift vorbei, über die Bögendorfer Siedlung-Hohle-Richtung Bögendorf. Bei unserem ersten Besuch 1959 war die Waldenburger Straße noch teilweise gesperrt. Im Dorf selbst fuhren wir - soweit es die Straßenverhältnisse erlaubten - die Straße bis zur Freibank war kaum befahrbar - durch bis zum Oberbögendorfer Schloß, machten dort kehrt und fuhren im Schrittempo nach Schweidnitz zurück wo wir bei Bekannten angemeldet waren. Unsere dortige Aufnahme war außerordentlich gut. |
Wir machten uns für die zur Verfügung stehende Zeit von etwa 10 Tagen die entsprechenden Pläne (die aber dann doch laufend umgeworfen wurden) und bereits am nächsten Tage ging es los. Natürlich war Bögendorf unser Hauptziel. Obwohl nach Bögendorf gute Busverbindung über Schönbrunn-Cammerau - bei Gasthaus Kramer nach Bögendorf kommend und von da über Ober-Bögendorf bis Seifersdorf besteht - fuhren wir mit unseren Fahrzeugen. Die Busverbindung ist übrigens sehr gut. Der Bus fährt viermal am Tag von Schweidnitz-Seifersdorf. Die Straße weiter nach Seitendorf durch den Steckelpusch ist unbefahrbar. Busverbindungen von Schweidnitz nach Breslau bestehen alle 2 Stunden. Ebenso ist die Verbindung nach Liegnitz sehr gut. |
In Nieder-Bögendorf besuchten wir zunächst eine Familie die uns auch schon erwarteten. Mit ihrer freundlichen Hilfe und unseren Bekannten - jetzt in Schweidnitz wohnend - konnten wir uns in Bögendorf und auch in den anderen von uns besuchten Orten alles Interessierende ansehen. Das wäre uns anders wohl kaum möglich gewesen. |
Ober-Nieder-Bögendorf, Cammerau-Schönbrunn und Seifersdorf haben zusammen einen Bürgermeister. Dieser wohnt im Haus Friseur Luge. Das Gemeindeamt ist in der Steckel-Villa beim Niederdorf-Denkmal. Nach dortiger Bekanntmachung sind wir mit dem Bürgermeister zum stellvertr. Brauereidirektor in die Lehrer-Koch-Villa gegangen und von dort mit einer Korona von ca. 10 bis 12 Personen, der jetzt dort üblichen Sitte gemäß, im Keller der Schober-Brauerei gelandet. 15%iges Bier - anscheinend nur zum Eigenverbrauch - und 4%iges Bier zum Verkauf mußte nicht nur probiert werden. Die nächstfolgenden Tage erwartete man uns bereits schon immer. Für uns war es einmal ungewohnt und zum anderen nicht im Sinne unseres Besuches. Aber auch das wurde überwunden. |
In Bögendorf war zu dieser Zeit kein Gasthaus geöffnet. Schobers Gastraum war Kultursaal mit Fernsehen. Aber die alte Theke stand noch. Einzelhandelsgeschäfte sind bei Polte und im weiteren Niederdorf bei der Freibank (Grieger). Kein Fleischer im Ort. Die Opitz-Bäckerei ist wieder Bäckerei und die Nolte-Mühle lief auch. Bei Polte ist der Laubengang weg. Die Häuschen Habel, Penderack und bei Franz Böer sind sehr gut in Ordnung. In der Kochmann-Villa wohnen 2 Polen. Das jetzt dazugehörige Land wurde z. T. von den Nachbarn, August Stephan und Alfred Tesche abgetrennt. Bei Kochmann ist der ehemals so gepflegte Vorgarten mit den Rosen und den Blautannen verschwunden. Bei August Stephan konnte das ganze Haus besichtigt werden. Hier wurde im Obstgarten eine Feldscheune neu errichtet, weil die Wirtschaft auf 7 ha arrondiert wurde Dadurch mußten auch die Stallungen erweitert werden. Auch auf dieser Wirtschaft ist es bereits der dritte Besitzer seit 1946. Josef der I., einigen gewiß noch bekannt, ist sehr heruntergekommen und jetzt Brauereiarbeiter - wohnt im Galle-Häuschen. Bei ihm wurden einige Möbel an den Farbresten erkannt. |
Die Felder am Göllner Berg sind jetzt quergeteilt worden. Der Pole von Göllner gärtnert mit den Geräten der Gärtnerei Klinner. Im Haus Richter wohnt der Organist. |
Bei Blichmanns wurde noch die „Saschka" angetroffen. Die Unterhaltung mit ihr verlief im Gegensatz zu allen anderen sehr unangenehm. Bei Klinner konnte nach anfänglichem Zögern ebenfalls das Anwesen besichtigt werden. Tore, Zäune gibt es nur noch in ganz wenigen Fällen. Die Scheune war am Einfallen, der Schuppen bereits eingestürzt. Frühbeete weg ~ nur Unkraut und Rasen. Der Bögenbach ist im dortigen Gebiet wieder mit einer ordentlichen Mauer gefaßt worden. Allerdings das Wehr bei Tesche ist eingefallen. Bei Giesel ist vorn alles dicht zugewachsen - wie im Märchen! Bei Tesche ist die Scheune eingestürzt, aber wieder im Aufbau! In der Geflittervilla wohnt ein Arzt. Der große noch zu unserer Zeit neuangelegte Obstgarten brächte sehr viel Geld. Dort ist auch noch alles eingezäunt wie früher. |
In der Kuhlerei wohnt eine Familie. In den nächsten Jahren wird dort viel einstürzen. Bei Böhmer Gustl das Haus ist eingestürzt. Die Schreiberschmiede ist ganz weg. Dort geht jetzt die Brücke gerade durch. Das Haus von Scholz (Kirschenplantage-Scholz) ist nahe am Einstürzen. Auf dem Friedhof in Oberbögendorf ist alles am verfallen und stark verwildert. An einigen Stellen sind die deutschen Inschriften noch zu entziffern. Das Totenhäusel steht noch - aber ohne Tür und Fenster und Glocke. Eine Bahre ist noch drin. |
In der kath. Kirche ist der Hochaltar neu gemacht worden. Es war dringend notwendig - wurde uns erzählt. Einmal wurde vergessen die Kerzen zu löschen, da ist der Hochaltar verbrannt und die ganze Kirche verräuchert. Mit Hilfe einer amerikanischen Spende erfolgte die Renovierung bzw. die Neueinrichtung. Die Kirchenfahnen sind alle noch da. Der „goldene“ (Messing) Kronleuchter ist nicht mehr da. Am Eingang rechts sind die Bänke weg. Dort wird jetzt das hl. Grab aufgebaut. Die Chöre sind noch. Auch das Balkentreten für die Luft zum Orgeln erfolgt noch wie früher. Erst nachdem die Reinemachfrau nach der Messe frische Blumen hingelegt hatte, durften wir in der Kirche fotographieren. Der Hauptgottesdienst ist erst nachmittags, früh nur Messe. Der Pfarrer darf aber jetzt seine Kuh nicht mehr auf den Gräbern weiden lassen! Der Kirchberg erscheint unverändert. |
Die Schulen langen nicht für die vielen Kinder. Bei Kramer ist die Gaststube Schulraum. Gasthäuser gibt es nicht mit der Begründung - die Gastwirte könnten nicht so viel Geschirr und Stühle anschaffen als laufend zerschlagen würde! Getränke werden im Geschäft Flaschenweise gekauft. Gasthof Winklers Saalgebäude ist eingestürzt, aber mit einem Schrägdach abgedeckt. Die Ziegelei im Oberdorf ist ganz weg. |
Unsere Besuche gingen natürlich auch auf den Braunerberg, den Lindenberg, den Läsergrund, zur ehem. Valeska-Hütte in den Rehgarten an den Daisy-See (Kalkbrudi) - am Flössel entlang - zu den Sandgruben und auf die Merkelshöhe. Alles Stätten der Erinnerung. Das Auffallende ist dabei, daß Erneuerungen - oder auch nur eine Pflege in unserem Sinne kaum irgendwo zu erkennen ist. Der Wald schiebt sich mit seinem Wildwuchs jährlich einige Zehntmeter vor - das wird vor allem im Oberdorf sichtbar. Viele ehemalige Punkte konnten infolge der beinahe 20jährigen Vergangenheit nur noch schwach wiedererkannt werden. Im Wald am Braunerberg waren die Schützengräben noch wie vor 20 Jahren offen. Im Franzpüschel das Denkmal an einen im ersten Weltkrieg gefallenen Angehörigen der Familie Gustav Franz steht noch - allerdings ohne Bank. Schneller als irgendwo vergingen die Tage. Aber wir mußten - und wollten auch zurück. Trotzdem das Abschiednehmen war nicht ganz leicht. Hervorzuheben ist die allseitige große Gastfreundschaft der dortigen Polen. |
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Quelle: Bögendorf - 20 Jahre nach der Vertreibung, Verfasser unbekannt in der „Tägliche Rundschau“ Heimatblatt für den Stadt- und Landkreis Schweidnitz, Reutlingen Schlesierverlag 1967 |
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